Märkisches Viertel
Damals entdeckten die Stadtplaner im Norden der Rumpfstadt West-Berlin ein 385 Hektar großes Gelände, das vorwiegend mit Notunterkünften und Wohnlauben bebaut war. Ohnehin sanierungsbedürftig schien das Gebiet zwischen der Müllkippe von Lübars und der Irrenanstalt Wittenau hervorragend geeignet, erstmalig einen Stadtteil von Grund auf neu zu planen, unbehindert durch überkommene Versorgungs- oder Verkehrssysteme.
Das Märkische Viertel war geplant als vorbildliches, modernes Quartier am Stadtrand. Kurz nach dem Mauerbau und angesichts eines Abrissprogramms für 56.000 innerstädtische Altbauwohnungen war der Bedarf enorm. Schon bald wurde daher in die Höhe gebaut: Statt Viergeschosser entstanden nun Acht- und Sechzehngeschosser. Die Wohnbauten bildeten Hochhausketten mit unregelmäßigen Grundrissen und gestaffelten Höhen, die größere Flächen mit Einfamilienhäusern umrahmen.
Trabantenstadt, Ghetto, Vorzeigesiedlung – das Märkische Viertel hatte im Laufe seiner Geschichte mit ganz unterschiedlichen Zuschreibungen zu kämpfen. Das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” schilderte 1970 das “Leben in einem Experiment” in drastischen Farben, die Planer der Neubausiedlung schwärmten dagegen von der modernen “Urbanität durch Dichte.”
1964 kamen die meisten neuen Bewohner aus den zum Abriss freigegebenen Altbauquartieren in Kreuzberg und Wedding. Senatsangestellte und Facharbeiter, kinderlose Ehepaare und Alleinstehende, die den möblierten Hinterzimmern entfliehen wollten, hatten für den Sprung vom möblierten Zimmer am Wedding in die Komfortwohnung am Senftenberger Ring mehrere tausend Mark Mieterdarlehen aufgebracht.
Doch schon kurz nach Fertigstellung wandelte sich die erste Euphorie. Bautechnische Mängel ohne Ende, eine mangelhafte Infrastruktur, triste Hochhäuser – das Märkische Viertel galt als Anhäufung gesichtsloser Betonklötze.
Zudem plante der West-Berliner Senat Mitte der 60er Jahre, Slum-Wohnungen und Notunterkünfte frei zu machen und die bestehenden Obdachlosenasyle aufzulösen. Da kam es gerade recht, dass im Märkischen Viertel die ersten Betonburgen bezugsfertig wurden: Aus allen West-Berliner Bezirken, aus den Abrissrevieren in Neukölln und Moabit ebenso wie aus den Obdachlosenasylen in der Wittenauer Straße und am Salzufer, wurden kinderreiche und sozial schwache Familien eingewiesen. Mit der Obdachloseneinstufung I (“sozialisierbar”) kamen sie ins Märkische Viertel.
Jugendbanden, Kriminalität und eine sozial schwierige Bewohnerschaft prägten das Image, vor allem in den 1980ern. Die sozial besser gestellten, zumeist kinderlosen Mieter zogen zum Großteil wieder weg. Wie in fast allen Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus kämpfte man mit Leerstand und einer sozialen Abwärtsspirale.
Durch Ergänzung und Ausbau der Infrastruktur konnte die negative Entwicklung des Images langsam gestoppt werden. Im Laufe der Jahrzehnte entstanden kleinere Zentren, bei denen sich mehrere Geschäfte (Friseur, Zeitungsläden) um einen kleineren Supermarkt ansiedelten. Grundschulen und Kindergärten wurden erweitert, und innerhalb der Hochhausgruppen entstanden zahlreiche Spielplätze nah bei den Wohnungen.
Anfang der 1990er Jahre wurde schließlich der Marktplatz vor dem Kulturzentrum Fontanehaus umgestaltet. Das große, zentrale Einkaufszentrum, die Märkische Zeile wurde 2000 um die Shopping-Mall Märkisches Zentrum erweitert. Zusammen mit dem Veranstaltungs- und Kulturzentrum Fontane-Haus, dem Hallenbad und der Thomas-Mann-Oberschule gruppiert es sich um den zentralen Marktplatz.
Die Gesobau, der hier knapp 15.000 Wohnungen gehören, hat zweifellos viel getan, um das einstige Schmuddelkind von seinem Negativ-Image zu befreien. Sie engagiert sich für soziale Projekte, hat das Wohnumfeld verbessert und bemüht sich um eine sensible Belegung.
Zudem hat sie in 2008 mit dem Umbau zu Deutschlands größter Niedrigenergiesiedlung begonnen. Insgesamt werden rund 560 Millionen Euro in Wärmedämmung, neue Fenster und moderne Heizungen investiert. Wegen der extrem hohen Heizkosten vor der Sanierung ist es möglich, die Modernisierung fast warmmietenneutral durchzuführen.
Das Märkische Zentrum wird seit 2019 vollständig umgebaut. Hier soll ein modernes Einkaufszentrum entstehen.